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Meine Lieblingsgedichte von Ringelnatz

Buchillustration | 1999

Seepferdchen

seepferdchenAls ich noch ein Seepferdchen war,
Im vorigen Leben,
Wie war das wonnig, wunderbar,
Unter Wasser zu schweben.
In den träumenden Fluten
Wogte, wie Güte, das Haar
Der zierlichsten aller Seestuten,
Die meine Geliebte war.
Wir senkten uns still oder stiegen,
Tanzten harmonisch umeinand,
Ohne Arm, ohne Bein, ohne Hand,
Wie Wolken sich in Wolken wiegen.
Sie spielte manchmal graziöses Entfliehen,
Auf daß ich ihr folge, sie hasche,
Und legte mir einmal im Ansichziehen
Eierchen in die Tasche.

Sie blickte traurig und stellte sich froh,
Schnappte nach einem Wasserfloh,
Und ringelte sich an einem Stengelchen fest und sprach so:
„Ich liebe Dich!“
Du wieherst nicht, du äpfelst nicht,
Du trägst ein farbloses Panzerkleid
Und hast ein bekümmertes altes Gesicht,
Als wüßest Du um kommendes Leid.
Seestütchen! Schnörkelchen! Ringelnaß!
Wann war wohl das?
Und wer bedauert wohl später meine restlichen Knochen?
Es ist beinahe so, daß ich weine – Lollo hat das vertrocknete kleine
Schmerzverkrümmte Seepferdchen zerborchen.

Logik

Die Nacht war kalt und sternenklar
Da trieb im Meer bei Norderney
Ein Suahelischnurrbarthaar.
Die nächste Schiffsuhr wies auf drei.
Mir scheint da mancherlei nicht klar,
Man fragt sich doch, wenn man Logik hat,
Was sucht ein Suahelihaar
Denn nachts um drei am Kattegatt?

Im Park

Ein kleines Reh stand am
ganz kleinen Baum
Still und verklärt wie im Traum.Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei,
Und da träumte noch immer das Tier.Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum –
Gegen den Wind an den Baum,
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.

Einsiedlers Heiliger Abend

Ich habʻ in den Weihnachtstagen
– Ich weiß auch warum –
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.
Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn dort hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.
Und zierte, um Baumschmuck und Lichter zu sparen,
Ihn abends noch spät
Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
Und andrem blanken Gerät.
Ich kochte zur heiligen Stunde
Mir Erbsensuppe mit Speck
Und gab meinme fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.
Und sang aus burgunderner Kehle
Das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
Alles das, was ich mied.
Es glimmte petroleumbetrunken
Später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken versunken.
Da hatʻs an die Tür gepocht.
Und pochte wieder und wieder
Es konnte das Christkind sein.
Und klangs nicht wie Weihnachtslieder?
Ich aber rief nicht: „Herein!“
Ich zog mich aus und ging leise
Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.

Ein männlicher Briefmark erlebte

Ein männlicher Briefmark erlebte
Was schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm geweckt.
Er wollte sie wiederküssen.
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens.

Überall

Überall ist Wunderland.
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strupfenband.
Wie irgendwo daneben.Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.
Wenn Du einen Schneck behauchst,
Schrumpft er ins Gehäuse.
Wenn Du ihn in Cognac tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.

Schwebende Zukunft

Habt ihr einen Kummer in der Brust
Anfang August?
Seht euch mal bewußt
An, was wir als Kinder übersahn.Da schickt der Löwenzahn
Seinen Samen fort in die Luft.
Der ist so leicht wie Duft
Und sinnenreich rund umgeben
Von Faserstrahlen, zart wei Spinnenweben.
Und er reist hoch über euer Dach,
Von Winden, schon vom Hauch gepustet.
Wenn einer von euch hustet
Wirkt das auf Ihn wie Krach
Und er entweicht.
Luftglücklicher leicht.
Wies sich sanft wo in Erde betten.
Und im Nächstjahr stehn
Dort die fetten, goldigen Rosetten,
Kuhblumen, dir wir als Kinder übersehn.

Silvester

Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten.Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute Nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.

Ein Nagel saß in einem Stück Holz

Ein Nagel saß in einem Stück Holz.
Der war auf seine Gattin sehr stolz.
Die trug eine goldene Haube
Und war eine Messingschraube.
Sie war etwas locker und etwas verschraubt,
Sowohl in der Liebe als auch überhaupt.
Sie liebte ein Häckchen und traf sich mit ihm
In einem Astloch. Sie wurden intim.
Kurz, eines Tages entfernte sie sich
Und ließ den armen Nagel im Stich.
Der arme Nagel bog sich vor Schmerz.
Noch niemals hatte sein eisernes Herz
So bittere Leiden gekostet.
Bald war er beinah verrostet.
Da aber kehrte sein früheres Glück,
Die alte Schraube zu ihm zurück.
Sie glänzte überʻs ganze Gesicht.
Ja, alte Liebe, die rostet nicht!

Gold

Gold macht nicht jeden reich.
Gold ist geschmeidig und weich
Wie ein Lurch.
Schlängelt sich zwischen den Fingern durch.
Gold entrollt, von Gott gewollt.

Gold soll nicht frech sein.
Gold darf nicht Blech sein.
Nicht durchmessingt oder durchsilbert.
Gold will redlich frei sein,
Ohne aufgezwungendes Beisein,
Hören Sie, Gilbert?

Gold macht uns trunken. Gold
Stinkt als Halunkensold.
Gold macht nicht gut.
Gold wittert Blut.

Gold macht nicht froh.
Wo ist Gold? Wo?
In Europa ist kein Gold mehr da.
Alles Gold ist in Amerika.

Doch Sie haben Recht, mein lieber Mister,
Deutschland nährt ein bißchen viel Minister.
In den Einzelstaats-Beamtenheeren
Könnte man die Hälfte gut entbehren.